Sonntag, 20. Juni 2010

Wieder zu Hause


Tja...nun sitze ich hier und soll den, von vielen gewünschten, Abschlusspost schreiben.
Lange schon schiebe ich das vor mir her. Vielleicht denke ich tief in mir drinnen, dass, wenn ich den Abschlusspost schreibe, ich auch einen Abschlusspunkt unter meinen Camino setze und das will ich nicht. Der Camino geht für mich immer weiter.
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, wie tief er noch nachwirkt. Nun bin ich schon ca. 1 Monat wieder zu Hause und ich habe das Gefühl, dass ich immer noch auf dem Camino bin. Jeden Tag erfahre ich bei Facebook, wie es meinen Caminofreunden geht und ich habe das Gefühl, dass alle irgendwie noch in Gedanken auf dem Weg sind.

So ein Abschlussbericht muss ja auch wohlüberlegt sein. Was schreibe ich, was ist das Fazit? Grübel grübel.

Fazit ist...ich habe kein Fazit. Ich glaube, der Camino wird noch Jahre oder mein ganzes Leben in mir andauern. Ich kann aber sagen, was ich gelernt habe und was sich jetzt schon in mir verändert hat. Auf dem Camino hat unsere Mitpilgerin Katrin uns kurz vor Santiago vorgelesen, was sie in ihrem Tagebuch festgehalten hat. Es waren glaube ich 8 oder 10 Punkte, die sie notiert hat und einige klingen bei mir ähnlich.

Ich habe gelernt:

- der Kraft in mir zu vertrauen
- im Dunkeln einen komplett durchorganisierten Rucksack zu packen
- mit vielen Menschen in einem Raum zu schlafen
- den inneren Schweinehund zu überwinden
- dass eine warme Dusche der vollkommene Luxus sein kann
- dass mein Schlafzimmer zu Hause ein unbeschreiblicher Luxus ist
- dass man auch beim Schein einer Taschenlampe frühstücken kann
- dass man auch wildfremden Menschen innerhalb von 2 Min. vertrauen kann
- meinen Horizont zu erweitern
- all is one
- dass einem Menschen innerhalb kürzester Zeit sehr ans Herz wachsen können
- auf ein Hochbett zu kommen und im Dunkeln runterzusteigen, ohne sich die Knochen
zu brechen (es gab nicht immer Leitern ;-))
- Menschen nicht nach ihrem Äußeren zu beurteilen
- dass einfachste Küche besser sein kann, als manches Luxusmenü
- dass die Natur absolut atemberaubend ist
- dass man auch nur mit ein paar Sachen im Rucksack 4 Wochen glücklich sein kann
- dass die Menschen trotz ihrer verschiedenen Kulturen gar nicht so unterschiedlich
sind
- dass das Schnarchverhalten sich im Laufe einer Nacht ändert ;-)
- dass es einen Ort auf der Welt gibt, wo jeder mit jedem teilt
- dass ich noch umweltbewusster werden muss, weil die Natur einfach atemberaubend
schön ist und so bleiben soll
- dass ich in Restaurants essen kann, die ich in Deutschland nicht mal betreten
würde (der Hunger treibts rein)
- dass immer irgendwo ein Engel ist, wenn man einen braucht
- dass wir Deutschen unglaublich bequem und unbeweglich im Denken sind
- dass es gut tut, Altvertrautes zu durchbrechen
- dass man nicht immer alles planen und durchstrukturieren muss
- Einfachheit
- Gottvertrauen!!!

Ich glaube, der Pilgervirus hat mich voll erwischt. Ich sehne mich danach, wieder den Staub unter meinen Füßen zu spüren und von der klaren Luft durchströmt zu werden.
Den holzigen Eukalyptusduft zu riechen und den Blick über die Berge schweifen zu lassen mit dem wohligen Gefühl, diesen Gipfel mit der eigenen Kraft erklommen zu haben.

Symbolisch gesehen werde ich in meinem Leben sicher noch einige Gipfel erklimmen und auch einige Täler durchschreiten und ich bin mir sicher, dass die Erfahrungen meines Caminos mir dabei helfen werden.

Ich habe heute ein Gedicht von Christian Morgenstern gelesen, dass das Gefühl auf dem Camino und "am Ende der Welt", als ich auf den Felsen saß und aufs Meer hinausschaute, gut beschreibt. Mit diesem Gedicht möchte ich meinen Blog beenden.

Am Meer


Wie ist dir nun,
meine Seele?
Von allen Märkten
des Lebens fern,
darfst du nun ganz
dein selbst genießen.

Keine Frage
von Menschenlippen
fordert Antwort.
Keine Rede
noch Gegenrede
macht dich gemein.
Nur mit Himmel und Erde
hältst du
einsame Zwiesprach.
Und am liebsten
befreist du
dein stilles Glück,
dein stilles Weh
in wortlosen Liedern.

Wie ist dir nun,
meine Seele? Von allen Märkten
des Lebens fern
darfst du nun ganz
dein selbst genießen.

Christian Morgenstern



In diesem Sinne......ultreia!

Eure
Silla