Freitag, 30. April 2010

Ledigos

Hola,

dank eurer lieben und guten Gedanken ist die Meseta geschafft. Ich habe sie mir ganz anders vorgestellt, denn es waren doch Baeume und Straeucher am Weg und auch keine endlose Weite, wie es in den Reisefuehrern beschrieben wurde. Ich fand den Weg vor zwei Tagen schon beeindruckender. Ich hatte das Gefuehl, dass die Piste fuer die Pilger neu angelegt war und auch die Baeume waren nicht sehr alt. Ich denke, hier ist einiges fuer das heilige Jahr veraendert worden.

Heute morgen bin ich um 6.45 Uhr aufgebrochen und habe mich prompt im Dunkeln verlaufen. Nach einem kurzen Umweg durch das Dorf habe ich aber den Camino wiedergefunden und bin durch die Meseta. Der neu (¿) angelegte Schotterweg war schwer zu gehen. Ich habe festgestellt, ich laufe nicht gern auf grossem Schotter. Man eiert einfach so durch die Gegend und hat keinen festen Tritt.

Um kurz nach halb 11 war ich schon im Zielort Calzadilla de la Cueza. Dort habe ich erstmal eine lange Rast in der dortigen Bar gemacht und mit Jos aus Holland und Joachim (sprich Choakim oder so) aus Spanien lange gequasselt. Jos ist vor 10 Jahren angefangen, den Camino zusammen mit seinem Vater zu gehen. Sie sind in Holland angefangen und immer wieder ein Stueck gegangen und sind bis ich glaube Frankreich gekommen. Dann ist sein Vater gestorben.
Nun bringt er den Weg zu Ehren seines Vaters zu Ende und um sich darueber klar zu werden, was er nun machen will. Auch er hat vor dem Camino seinen Job als IT-Spezialist gekuendigt. Joachim hat unter anderem auch in Deutschland gelebt und spricht daher sehr gut deutsch. Er geht seit vielen Jahren immer wieder den Camino, weil er das Caminogefuehl sehr liebt. Urspruenglich ist er seinen ersten Camino vor 13 Jahren gegangen, weil er mit seinem Sohn nicht mehr ein noch aus wusste, da er heroinabhaengig war. Nach dem Camino hat er seinen Sohn gefragt, ob er bereit waere, mit ihm 2 Monate in deren Wohnung aufs Festland (er lebt auf einer spanischen Insel) zu gehen und den Entzug zu wagen (der Sohn war vorher aus Entzugskliniken abgehauen).
Sein Sohn hat zugestimmt und so hat er ihn in ein kleines Dorf mitgenommen, ihn dort ans Bett gefesselt und den Entzug mit ihm durchgestanden. Zwei Monate lang.
Danach hat der Sohn noch 2 Jahre Medikamente bekommen, die sofort ein Koma ausloesen, wenn man Heroin nimmt. Heute ist er gluecklich verheiratet und hat 3 Kinder.
Joachim ist 67 Jahre alt und total bewunderswert. Er hat noch viel mehr aus seinem Leben erzaehlt, aber das wuerde hier den Rahmen sprengen.

Im Moment geniesse ich gerade mal wieder das typische Albergueritual. Ankommen, Bett beziehen, duschen, Waesche waschen, eine Siesta halten, Tagebuch (und Blog) schreiben und hoffen, dass die Nacht ruhig wird. Letzte Nacht hatten wir mindestens 3 laute Schnarcher im Zimmer und meine Ohrstoepsel lagen gut verstaut im Rucksack und ich im Hochbett oben. Sie haben sogar meinen Ipod uebertoent, in dem mit voller Lautstaerke Enya lief. Ich glaube, ich bin erst gegen 4 Uhr morgens (gefuehlt) eingeschlafen. Ich habe hier gelernt, dass es unheimlich viele Schnarcharten gibt. Gestern nacht habe ich wieder eine neue kennengelernt ;-)).

Der Abend gestern bei den Schwestern ist noch sehr schoen ausgeklungen. Wir haben alle noch einen Stern bekommen, den die Schwestern fuer uns gebastelt haben und dann ist eine der Ordensschwestern rumgegangen und hat jeden ganz ganz liebevoll gesegnet. Es war wundervoll.


Ultreia

Silvia

Donnerstag, 29. April 2010

Carrion de los Condes


Buenos noches,

viele Gruesse aus Carrion de los Condes. Ich habe gestern nach einem sehr sehr anstrengenden Marsch durch die pralle Sonne in Boadillo del Camino in einer privaten Herberge bei dem Hospitalero Serafin uebernachtet. Es war richtig freaky. Serafin ist ein total durchgeknallter junger Spanier, der selbst 3 x den Camino gegangen ist. Er hat nun die Pension mit 16 Betten eroeffnet, die einen wunderschoenen grossen Garten hat. Ich habe dort mit jungen Leuten uebernachtet, die ich auf dem Camino schon mehrfach getroffen habe und mit meinen drei geliebten Kanadierinnen. Wir haben nachmittags im Garten gesessen und mit James aus Temper/Florida (he comes from Temper - he's a Tampon ;-)) ueber die Politik von Barack Obama und Amerikas Journalismus gesprochen. CNN und die anderen Nachrichtensender berichteten immer nur ueber Amerika Amerika Amerika. James wusste bis kurz vor seinem Abflug nicht mal, dass in Island ein Vulkanausbruch war.
Abends haben wir uns aus der Vorratskammer von Serafin bedient, die mehr als fragwuerdig war. Schimmelige Zwiebeln, gruene Tomaten etc. Wir haben ein nettes Spaghettigericht gezaubert, aus dem ich mir aber sicherheitshalber das Fleisch rausgepult habe ;-)). Die Kanadierinnen hatten heute morgen auch leichte Magenprobleme. Serafin hat dann von jedem 2,50 € verlangt und wir hatten ein guenstiges, internationales Abendessen.

Es ist interessant zu hoeren, warum die Menschen den Camino gehen. Viele haben sogar ihren Job gekuendigt, nur um den Camino zu gehen, oder auf dem Camino Inspirationen fuer das Kommende zu bekommen. Manche Geschichten beruehren mich sehr tief.

Die heutige Etappe war sehr lang, da sie groesstenteils entlang der Hauptstrasse verlief. Neben der Strasse hat man eine "Pilgerautobahn" angelegt, da es frueher zu mehreren toedlichen Unfaellen gekommen ist. Es zog sich wie Kaugummi und die Gelenke und Fuesse schmerzten. Da ist heute mal mein Ipod zum Einsatz gekommen ;-).

Ich bin ganz stolz auf mich, denn heute habe ich sogar mal die schoenere Nebenroute gefunden und mich nicht verlaufen. Die Etappe war heute 27 km lang. Dann habe ich am Ortseingang aber meinen Reisefuehrer aus der Hosentasche verloren und musste nochmal zurueck. Macht nochmal ca. 2 km mehr - aechz-. Leider habe ich ihn nicht gefunden. Gott sei Dank habe ich ja noch einen zweiten mit. Ich konnte mich nicht entscheiden, also habe ich beide kurzerhand in der Mitte durchgeschnitten, da ich den ersten Teil nicht brauchte und beide Halben mitgenommen. Das macht sich nun bezahlt.

Ich bin heute in einer Herberge, die von Augustinernonnen betrieben wird. Es ist eine wundervolle Stimmung hier. Gerade sitzen hinter mir ca. 20 Leute, weil die Schwestern fuer alle gekocht haben. Wir haben vorhin zusammen im Vorraum Gitarre und Mundharmonika gespielt und gesungen. Danach haben wir gemeinsam eine Messe in einer sehr schoenen alten Kirche gefeiert. Nach der Messe mussten alle anwesenden Pilger nach vorne kommen und wir haben die Lesung in verschiedenen Sprachen vorgelesen (jeweils durch Pilger des jeweiligen Landes). Es wurde in spanisch, englisch, deutsch, polnisch, koreanisch und japanisch gelesen. Das ging voll ins Herz.

Das Gehen an sich ist zwar sehr hart, aber man kann viele Gedanken kreisen lassen. Ich bete, gruebel, singe, grummel oder bin einfach nur ganz ganz still und lausche der Natur. Manchmal denke ich:" Warum tust du dir das an¿" (Das spanische Fragezeichen steht tatsaechlich auf dem Kopf ;-)) , aber dann passiert immer etwas so bewegendes oder aussergewoehnliches, dass ich denke, dass Gott mir gerade wieder etwas zum Aufheitern geschickt hat. So auch gestern, als ich mitten in der prallen Sonne keinen Schritt mehr weitergehen wollte und ploetzlich mitten in einer Schafherde stand, die mir entgegenkam. Und wenn ich sage mitten, dann meine ich auch mittendrin. Ich musste erstmal lachen und habe dann die beiden letzten Kilometer begleitet von frischen Schafskuetteln (oh hallo Kuettel ;-)) auch noch geschafft.

Morgen erwartet mich eine der schwersten Etappen des Camino. 18 km durch die Meseta.
Nur Kornfelder, kein Baum, kein Strauch, kein Ort (und ----Hiiiillllffffeee - keine Toilette ;-)). Ich kann also alle guten Gedanken von euch gebrauchen. Ich denke ich werde mal wirklich frueh starten, um nicht in die Mittagssonne zu kommen.

Also werde ich jetzt schnell in mein Hochbett krabbeln. Ich schlafe heute uebrigens oben ;-)).

Ultreia

Silvia

P.S. apropos Bett. Sarah aus Kanada durfte gestern ihre ganzen Sachen desinfizieren, denn sie hatte Bisse von Bettwanzen am ganzen Koerper und sie hatte die Nacht vorher im gleichen Hochbett mit mir geschlafen. Ich bin verschont geblieben.....es lebe mein Seidenschlafsack, den ich IMMER als Bettlaken benutze.

P.P.S: nachdem gestern Abend der Computer gestreikt hat, als ich den Post veroeffentlichen wollte, versuche ich es jetzt noch einmal

Dienstag, 27. April 2010

Castrojeriz und der nette Hospitalero



Hola,
der nette Hospitalero hat mir gerade erlaubt, ein paar Fotos einzustellen. Leider ist das Internet sehr langsam. Ich moechte euch aber nicht mein (bisheriges) Lieblingsfoto vorenthalten. Ich habe es morgens kurz nach dem Aufbruch in St. Juan de Ortega gemacht.

Und dann noch ein Foto vom Weg.

Ultreia
Silvia

Burgos-Hornillos del Camino-Castrojeriz


Hallo ihr Lieben,

ich sitze gerade in einem kleinen spanischen Dorf mitten in der Pampa und bin erstaunt, dass es hier tatsaechlich in der Herberge Internet gibt.

Da ich gestern in einem noch kleineren Dorf war, konnte ich leider nicht posten.
Daher bekommt ihr heute die doppelte Ration ;-).

Der Abend in Burgos war eine echte Enttaeuschung. Ich hatte gedacht, wenn ich um 19.30 Uhr in die Pilgermesse gehe, dann sehe ich die Kathedrale noch, leider wurde die Messe in einem Seitenteil der Kathedrale abgehalten, der voellig abgetrennt war.
Daher habe ich nicht mal die Kathedrale gesehen. Morgens war sie noch nicht geoeffnet :-(.
Ausser einer ueberteuerten Pizza bleibt nur die Erinnerung an eine schoene Stadt und eine schoene Kathedrale von aussen ;-).

Von Burgos ging es erst durch das Stadtgebiet weiter. Das war ein bisschen wie Schnitzeljagd: "Such die gelben Pfeile". Ich habe dort einen Hippie aus Ibiza getroffen, der zwar sehr nett war, sein Englisch aber nicht fuer eine wirkliche Unterhaltung reichte und mein Spanisch erst recht nicht. Es sah aber schon witzig aus, wie er in Cordhose, Flip Flops und Socken seinen Weg machte.

Kurze Zeit spaeter habe ich die Bekanntschaft von Juergen gemacht. Ein Rentner, der ein sehr bewegtes Leben hinter sich hat, wie er mir gestern Abend beim gemeinsamen Abendessen erzaehlte. Er lebt seit vielen Jahren in Spanien (was sehr praktisch war ;-)) und laeuft den Jakobsweg mit nur einem Lungenfluegel. Wegen Lungenkrebs vor 4 1/2 Jahren haben sie ihm den anderen Lungenfluegel rausgenommen. Wirklich bewundernswert. Wir haben in einem kleinen Dorf im Schatten am Pilgerbrunnen gesessen und einen kleinen Plausch gehalten.
Nach langer Zeit in der prallen Mittagssonne zwischen Kornfeldern tauchte endlich Hornillos del Camino vor mir auf. In der Albergue neben der Kirche wurde man sehr sehr nett empfangen und konnte sich sofort ein Bett aussuchen. 12-Bett Zimmer...
Kurz nach meiner Ankunft verteilte ein netter Spanier Zettel, dass er ayurvedische Fussmassage oder Ruecken- oder Gesichtsmassage anbietet. Da habe ich mir gedacht, dass goenne ich mir doch mal. Seine "Massagepraxis" war ein Bretterverschlag neben einem Schlafraum. Juan war sehr interessant. Urspruenglich aus Salamanca stammend, war er letztes Jahr den Camino gegangen und hat sich entschlossen, den Pilgern dort in Hornillos del Camino Massagen zu verpassen. Naechstes Jahr will er nach Indien, um dort Ayurveda von der Pieke auf zu lernen. Ich habe die Massage total genossen, habe mich aber geweigert, die spanischen homoeopathischen Kuegelchen von ihm anzunehmen. "Nur 1 Tagesdosis- haut sofort rein...." Als ich ihm nach der Erstverschlimmerung gefragt habe, hat er mich nur ganz unglaeubig angeguckt. Soweit gingen seine Homoeopathiekenntnisse wohl doch nicht *kicher*.

Wir haben uns dann noch ueber Gott und die Welt unterhalten und ueber das Thema Gottvertrauen und Gottes Hilfe. Er erzaehlte mir dann eine schoene spanische Geschichte, die ich euch nicht vorenthalten moechte:

Ich nenne sie mal
Gott hilft

Es war einmal ein kleines spanisches Dorf, welches von heftigen, tagelangen Regenfaellen heimgesucht wurde. Es regnete und regnete und regnete. Die ersten Dorfbewohner verliessen das Dorf und sagten zum Pfarrer:"Komm mit, wir muessen das Dorf verlassen!" Doch der Pfarrer sagte: "Nein!Gott wird uns helfen!". Immer mehr Leute verliessen das Dorf, weil es immer weiter regnete. Sie forderten den Pfarrer auf, mit ihnen zu gehen, doch der Pfarrer antwortete immer : " Gott wird uns helfen."

Als nur noch 1 Mann im Dorf war und in der Kirche sass, sagte er zum Pfarrer:"Geh mit mir. Ich bin der letzte Dorfbewohner. Warum kommst du nicht mit? Was willst du alleine hier?"

Der Pfarrer aber rief : "Gott wird mir helfen!"
So ging auch der letzte Dorfbewohner fort und der Regen fuellte nach nach sogar das Innere der Kirche. Nach einigen Tagen kam ein Boot vorbei und die Menschen in dem Boot forderten den Pfarrer auf, doch einzusteigen. Der Pfarrer aber antwortete: " Gott wird mir helfen!" Das Hochwasser wurde so schlimm, dass er auf das Kirchendach ausweichen musste. Es kam dann ein Helikopter angeflogen und wollte ihn mitnehmen, doch er weigerte sich und sagte : " Gott wird mir helfen!".
Der Pfarrer ertrank.
Im Himmel angekommen sagte er zu Petrus:"Ich muss sofort Gott sprechen! Ich will mich beschweren!" Petrus fuehrte ihn zu Gott und der Pfarrer schimpfte:"Wieso hast du mich ertrinken lassen, obwohl ich doch so auf deine Hilfe vertraut habe?"
Gott antwortete:" Habe ich dir nicht den letzten Mann im Dorf geschickt, ein Boot und einen Helikopter?"

Schoene Geschichte, nicht wahr? Man muss viel oefter auf diese Zeichen achten.

Nach der schoenen Massage hatte ich einen netten Abend in der Herberge bei Baguette und Kaese und Gespraechen mit Juergen. Die anschliessende Nacht war aber nicht so nett, da ein Italiener in unserem Zimmer den Schnarchrekord brechen wollte.
Immer wenn er besonders laut troetete, kicherte das ganze Zimmer, bis ihn dann ein Mitpilger sanft anstuppste und er hat tatsaechlich die ganze Nacht nicht mehr geschnarcht. Wahrscheinlich hat er aus Angst, uns zu wecken, die ganze Nacht wachgelegen :-). Ich habe uebrigens gestern Nacht mit 3 Kanadiern (2 englisch- und 1 franzoesichsprechender), 2 Franzosen, 1 Deutschen, 1 Koraner und 4 Italienern in einem Zimmer geschlafen. Immer wieder faszinierend. Mein heutiger "Bettnachbar" ist Mario aus Brasilien. Mal sehen, wer gleich noch so in das Zimmer kommt.

Die heutige Etappe war wieder mal landschaftlich ein Traum. Ich bin bei 20 km Etappen geblieben, da ich sonst viel zu frueh in Astorga bin, meinem Treffpunkt mit Wusel. Meine erste Rast war in der alternativen Herberge San Bol. Die Hospitalera war supernett und hat mir extra einen Tee gekocht, obwohl die Herberge eigentlich schon geschlossen war. Das ist so eine Herberge ohne Strom und fliessend Wasser. Waschen kann man sich in dem hauseigenen Brunnen ;-) brrrrr. Aber sehr idyllisch.

Von da aus ging es weiter nach Hontanas, wo ich nett "gefruehstueckt" habe. Die hier ueblichen Bocadillos. Das sind belegte Baguettes mit Ruehrei, Kaese, Schinken oder was man so haben will.
Als ich schon um kurz nach 12 Uhr 2 km vor meinem Tagesziel war, habe ich mich einfach hinter einer Klosterruine (San Anton) ueber eine Stunde an einem Bach in den Schatten gelegt und mit Blick auf die Klosterruine gregorianische Gesaenge gehoert.
Mei war des scheeeeeee ;-).

So, meine Internetzeit ist gleich abgelaufen. Ich denke viel an die Menschen zu Hause, an euch. Ich habe das Gefuehl, als ob ich euch alle ein Stueck mitnehme.

Ultreia

Silvia

Sonntag, 25. April 2010

Burgos


Meine lieben Daheimgebliebenen,

ich gruesse euch aus der wunderschoenen Stadt Burgos. Ich sitze gerade in der neuerbauten staedtischen Herberge, unsere Waschmaschine laeuft, ich bin geduscht, erschoepft, aber gluecklich die Etappe geschafft zu haben.

Ich habe mich gestern doch entschlossen, die Montes de Oca in Angriff zu nehmen, nachdem ich bereits um 11 Uhr am Fusse der Berge war. Es war ein sehr anstrengender Anstieg und auch die Etappe oben auf den Bergen hatte es in sich. Das Wetter war traumhaft schoen und die Natur atemberaubend.

Aber von Anfang an. Die nette Hollaenderin neben mir hat mir gerade einen Euro gewechselt, so dass ich jetzt 20 Min. laenger schreiben kann ;-).

Gestern morgen bin ich bei Nebel in Belorado losgegangen, nachdem ich ein ausgiebiges Fruehstueck und einen netten Plausch mit meinem Herbergsvater hatte. Er hat lange Jahre in der Entwicklungshilfe (Agrarbereich) in Suedamerika gearbeitet und unter anderem 15 Jahre in Nicaragua, wo er seine Frau kennenlernte (ich dachte, sie waere Spanierin). Vor vielen Jahren ist er mit einem Freund immer mal wieder Etappen des Caminos gegangen und hat sich ueber die Herbergen geaergert, so dass er sich entschlossen hat, nach Belorado zu ziehen und eine familiaere Herberge aufzumachen. Ganze 3 Gaestezimmer in einem kleinen typisch spanischem Haus.

Mit guten Tipps und Abschiedskuesschen versorgt gings dann hinaus in den Nebel. An der naechsten Ecke bin ich direkt auf 3 Kanandierinnen getroffen und wir haben uns den Weg aus dem Ort herausgesucht. Ein kurzer Schnack und dann bin ich alleine weiter gegangen, da die fusskranke Margo mein Tempo nicht halten konnte (noch.....es kommen ja noch ein paar Tage). Ich hatte die ganze Zeit eine kleinere Pilgergruppe vor mir, (witzig...waehrend ich das hier schreibe, setzt sich Margo gerade an den Computer mir gegenueber. Sie sind also auch jetzt hier gestrandet) die nur Tagesrucksaecke trugen und sich ihr Gepaeck transportieren liessen. Waehrend ich noch darueber nachgruebelte, ob das richtiges Pilgern ist, brach eine Frau aus der Gruppe zusammen - Kreislaufprobleme. Ich dachte nur:"Arme Frau- toller Start :-(".

An der Bar, die geoeffnet hatte, habe ich erstmal Rast gemacht und mich fuer die Oca-Berge gestaerkt. Die ankommenden Pilger legten sich mitten auf den geschotterten Parkplatz, um auszuruhen (und sind auch tatsaechlich eingedoest). Ich ahne etwas von den Strapazen, die hier auf mich zukommen.

Nachdem ich mich dann durch die Oca-Berge gekaempft hatte, wobei gekaempft der falsche Ausdruck ist, weil es zwar anstrengend, aber eben auch unglaublich schoen war, tauchte endlich das Kloster St. Juan de Ortega vor mir auf.
Ein netter Hospitalero begleitete mich in einen Vorraum, in dem die Wanderschuhe ausgezogen werden mussten und man gleich mit Kirchenmusik beschallt wurde.

Der Schlafsaal bestand aus 16 Betten (die aber nicht alle belegt waren) und liess sich nur durch eine laut knarrende, mindestens 500 Jahre alte Tuer oeffnen.
Die abendliche Pilgermesse war wieder slapstikmaessig. 2 Spanier (1 Mann und 1 Frau), die brav die Kirchenlieder sangen und ein paar Pilger, die kein Wort verstanden ;-). Anschliessend wurde der Pilgersegen gespendet, was wiederrum sehr schoen war. Man bekam einen Zettel in seiner Sprache, dann haben wir uns alle vor den Sarkophag von St. Juan de Ortega gestellt und bekamen den Pilgersegen.

Geweckt wurden wir heute morgen um 7 Uhr mit gegorianischen Choraelen.
Die Nacht war erstaunlich ruhig, da wir keine grossartigen Schnarcher im Zimmer hatten, nur ein paar leise Schnorchler ;-).
Da mir das Kloster so gut gefiel, habe ich auch gleich meine Sonnenbrille dort gespendet (grmpf). Ich weiss wirklich nicht, wo die geblieben ist.

Von dort ging es heute morgen weiter nach Atapuerca, wo ich erstmal mit Maria und Petra, die ich auch auf dem Weg getroffen habe, schoen gefruehstueckt habe um dann gleich die naechsten Berge zu erklimmen. Die Gegend um Atapuerca sieht aus, als habe jemand einen Berg in Millionen Stuecke gesprengt und die Steine einfach in der Landschaft liegen lassen. Dementsprechend schoen, aber schwierig war der Weg. Man musste beim Aufstieg und Abstieg genau aufpassen, wo man hintrat. Am Gipfel angekommen stand ein grosses Holzkreuz - aehnlich dem Cruz de Ferro, was mich sehr beeindruckt hat. Viele Pilger hatten Steine oder Zettel oder andere Gegenstaende abgelegt.
Oben auf der Hochebene habe ich mich erstmal eine halbe Stunde zwischen Ginsterbueschen in die Sonne gelegt und meine Siesta gemacht, bis die Kanadierinnen wieder vorbeikamen.

Im naechsten Ort habe ich sie dann an der Bar wiedergetroffen. Es ist schon witzig, alle haben den gleichen Weg, aber jeder in seinem Tempo. Manchmal geht man ein Stueck zusammen, manchmal eben nicht. Alles kann - nichts muss.

In der Bar wurde ich von einer Spanierin bedient, die sage und schreibe noch 3 Zaehne im Mund hatte. Ich weiss aber nun, dass die Zaehne definitiv nicht mit den Stimmbaendern zusammenhaengen, denn sie bruellte einen Gast an, der dann zurueckbruellte. Waehrenddessen hatte sie die ganze Zeit noch eine Fluppe im Mund.

Ich habe dann darauf verzichtet, in dieser Bar etwas zu essen und mir nur mein Wasser gekauft ;-))) Die Kanadierinnen haben todesmutig irgendetwas Kuchenaehnliches gegessen. Mal sehen, wie es ihnen morgen geht :-).

Kurz hinter dem Ort sollte es einen schoenen Weg nach Burgos geben, den ich aber leider nicht gefunden habe. Also bin ich auf dem urspruenglichen Jakobsweg am Flughafen und einer Schnellstrasse vorbei nach Villafria gegangen, wo Maria mich dann einholte, die auch den anderen Weg nicht gefunden hat ;-).

Der Reisefuehrer warnte davor, dass nach Villafria nur noch Industriegebiete von Burgos kommen wuerden und viele Pilger diese Strecke mit dem Bus fahren.
Zu Hause habe ich noch gedacht....ich gehe!!! Hier nach 21 km durch Berge und Steppe bei 26 Grad habe ich mich dann doch fuer den Bus entschieden und das war gut so.
Es waren tatsaechlich nur Industriebauten an vierspurigen Strassen und Stadtautobahnen. Das waere teilweise echt gefaehrlich geworden.

Nun sind wir hier in der traumhaften Stadt Burgos, die wir jetzt erkunden werden, denn unsere Waschmaschine ist fertig ;-).
Die Herberge hier ist wirklich schoen. Alles neu, spartanisch, aber chic eingerichtet. Und sehr sehr sauber.

Ultreia

Silvia

Freitag, 23. April 2010

Belorado


Buenas noches!
Ich sitze jetzt gerade hier in meiner kleinen, gemuetlichen Pension Casa Waslala in Belorado. Vorhin habe ich meinen ersten Stempel in meinen Pilgerpass bekommen. Mein ´Herbergsvater´ ist Hollaender und seine Frau Spanierin.

Die erste Pilgertag war voller neuer Eindruecke. Es begann erstmal damit, dass der Flieger 30 Min. spaeter startete, weil ein Feuerloescher ausgetauscht werden musste. Dann sind wir bei total wolkenverhangenem Himmel in Bilbao gelandet - wahrscheinlich war das die Aschewolke ...

Am Flughafen habe ich zwei nette Pilgerinnen aus dem Sauerland kennengelernt. Sie starten morgen in Leon. Nachdem ich dann endlich nach ueber 2 Std. Wartezeit in meinem ersten Bus sass, bekreuzigte sich meine Nachbarin dreimal, bevor der Bus losfuhr. Ich habe nur gedacht: ´´Hoffentlich kennt die den Busfahrer nicht....¨¨

Es war aber dann eine sehr angenehme Fahrt durch eine Landschaft, die wie eine Mischung aus Voralpenland und Kulisse fuer ¨Spiel mir das Lied vom Tod¨ aussieht.

In Haro habe ich mich am Busbahnhof mit einer aelteren Spanierin mit Haenden und Fuessen unterhalten. War lustig, besonders als die alte Dame, die bestimmt schon ueber 80 war, das Pilgern mit Wanderstoecken pantomimisch dargestellt hat.

Leider wollte der Busfahrer mich um 14.30 Uhr nicht mitnehmen, weil mein Ticket auf 16.30 Uhr ausgestellt war, obwohl der Bus leer war. Also musste ich nochmal 2 Std. warten und habe mich in Haro im Park in die Sonne gesetzt.

Ich war froh, als ich nach dieser Odyssee endlich in Belorado war und gleich so nett aufgenommen wurde.
Ich habe dann, wie es sich fuer einen Pilger gehoert, heute abend die Pilgermesse besucht. Als ich in der Kirche sass, kam auf einmal eine Frauenstimme aus dem Hintergrund, die maschinengewehrartig immer die gleichen Saetze in die Kirche rief und die Gemeinde antwortete mit monotonem Gemurmel. Ich sass da und dacht, dass ich eigentlich ja die kath. Liturgie kenne, aber das war neu fuer mich. Ich fand diese Situation so witzig. Wie bei einem Film von Monty Python. Ich sass grinsend in der Bank, bis mir auffiel ¨¨Mensch, die beten den Rosenkranz¨¨. Ich habe mich dann einlullen lassen und anschliessend eine ziemlich emotionslose, runtergespulte Messe gefeiert.
Witzig war auch, dass sicherlich alle Frauen des Dorfes, die ueber 65 sind, sich in der Kirche versammelt hatten und uebrigens sehr schoen gesungen haben, waehrend die Maenner eine Gasse weiter in der Tapas-Bar sassen und Stierkampf guckten.

Anschliessend habe ich mir in dem einzigen geoeffneten Restaurant vor Ort ein Pilgermenue fuer satte 10 Euro - kicher - gegoennt. Vorspeise, Hauptspeise, Dessert und Brot und Wasser oder Wein, je nach Wunsch.

Morgen steht dann also die erste Wanderetappe an. Leider ein bisschen verzwickt. Entweder gehe ich 12 km -was eigentlich zu wenig ist - oder ich muss 22 km gehen, weil nach den 12 km eine Bergetappe kommt, auf der keine Ortschaft ist. Auf jeden Fall werde ich dann kein Internet haben, da ich dann im Kloster San Juan de Ortega uebernachte.

Fazit des ersten Tages: Spanier sind laut und lebhaft, weigern sich Englisch zu sprechen - zumindest die Busfahrer, ich bin in der Kulisse von ¨¨Spiel mir das Lied vom Tod ¨¨, spanische Tastaturen sind sch.... und die Pilgermessen koennen nur besser werden.

Ultreia
Silvia

Donnerstag, 15. April 2010

Endspurt in der Vorbereitung



Ja ja..langsam wird es ernst.

Die letzten Ausrüstungsgegenstände sind auch besorgt, aber ich denke ich werde noch 10 x meinen Rucksack inspizieren, um noch ein paar Gramm zu sparen.
Oh Mann, ich hätte nie gedacht, dass ich mal für 4 Wochen 3 T-Shirts einpacke....

In den letzten Tagen bin ich mit vollem Gepäck bis Albersloh, Telgte und einen Rundkurs über Handorf, Schleuse und Kanal gelaufen.
Nach dem ersten Tag fühlte ich mich wie 80++, aber mit jedem Tag wurde es besser.
Am Sonntag haben Wusel und ich die Wanderung nach Telgte gemacht und wieder mal festgestellt, wie schön das Münsterland ist.
Es ist auch eine völlig neue Erfahrung einfach nur zu laufen, laufen, laufen. Der Kopf wird frei und die Anfangswehwehchen werden irgendwann nebensächlich.

Das schönste Erlebnis in der Vorbereitung war aber mein Pilgersegen, den ich gestern nachmittag von Hans Gerd bekommen habe.
Hans Gerd ist als Gefängnispfarrer tätig und hat mir den Pilgersegen an der Gefängnismauer gespendet. Symbolisch sollte das u. a. auch dafür stehen, dass ich die "Steine" der Insassen am Jakobsweg ablegen soll. Wir haben dann auch einen Stein mitgenommen, den ich nun am Cruz de ferro ablegen werde.
Die Gespräche über seine Arbeit haben mich sehr nachdenklich gestimmt.
Junge Männer, die viele Jahre im Gefängnis sitzen und nicht zuletzt auch die Gedanken an die Opfer. Aber auch die Hoffnung von Hans-Gerd, dass einige auf einem guten Weg sind. Schockierend die Zahl von geschätzt 1- 2% unschuldig verurteilter Insassen. Wenn ich überlege, wieviele das bei über 700 Insassen sind, die dann mehrere Jahre unschuldig hinter Gittern sitzen. Unglaublich.
Der Stein wird hoffentlich seinen Sinn erfüllen.

Sehr eindrucksvoll und tief berührend für mich.

Falls du dieses liest lieber Hans Gerd, auf diesem Wege nochmal vielen Dank für den schönen Nachmittag ;-)

Jetzt fühle ich mich wirklich als Pilger.

Donnerstag, 8. April 2010

Warum ist alles so anders beim Pilgern?

Eine interessante Frage in einem Pilgerforum. Warum ist alles so anders beim Pilgern?
Hier eine Antwort, die mich sehr bewegt hat. Sie trifft ziemlich genau meine Beweggründe. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Gabriele.

Warum alles so anders ist beim Pilgern?

Ich denke, weil wir die Kontrolle abgeben, keine Sicherheit haben, nicht planen können und trotzdem immer wieder alles bekommen und so in das Leben vertrauen lernen. Weil Prioritäten klarer werden.

Weil Gottes Gnade hier so direkt spürbar ist, ausgedrückt durch Engel mit verschiedensten Aufgaben: uns was zu sagen, uns was zu zeigen, uns zu helfen, sich helfen zu lassen, uns zu begleiten oder uns Raum zu geben. Weil wir willkommen sind. Weil wir hier mal ohne Frage "zu den Guten" gehören. Weil uns manchmal Menschen spontan auf der Straße umarmen, weil wir pilgern.

Weil wir nicht nur in Santiago, sondern auch bei uns selbst ankommen können, immer weniger verdrängen können, uns nicht ausweichen können. Weil wir positive Selbstwahrnehmung erleben, da wir jeden Tag was schaffen.

Weil wir unmittelbar im "First life" unterwegs sind und nicht in irgend einem virtuellen "Second life" oder unverbindlichen "Social Network". Erfahrungen sind wirklich, unleugenbar, nicht programmiert, nicht designed, kein Web 2.0, sondern 3D mit voller Sensorik. Natürlichkeit und Natur. Die Dinge und wir selbst sind berührbar, fassbar, real, ich kann nicht auf Reset drücken oder Play again, sondern es geht einfach weiter. Routinefreie Zone.

Weil wir nichts darstellen müssen, uns weder verstellen müssen noch können. Wer schwitzt, der schwitzt, wer stinkt, der stinkt halt. Wir dürfen auch mal scheiße aussehen und keinen scherts, rot im Gesicht, abgebrochene Nägel, ungeschminkt. dreckig und fleckig, wen kümmerts? Kein Beauty-Wettbewerb, keine Miss Camino, keine Style-Polizei, kein Bling-Bling, kein "mein Haus, mein Auto, meine Yacht". Liberté, Égalité, fraternité. Gemeinschaft mit Menschen, Vertrauen, Zugehörigkeit. Weil wir hier jeden so lassen können wie er ist. Wir können mit ihm zusammen laufen, müssen aber nicht. Und keiner ist sauer oder enttäuscht oder sonst was...

Weil der Himmel über uns so nah ist, weil Gottes schöne Welt ständig für uns sichtbar ist Weil wir im gleichen Tempo wie unsere Seele reisen, wir entschleunigen uns. Weil Jesus, der Ur-Pilger, an der Seite eines jeden von uns läuft, jeden einzelnen Kilometer, auch wenn wir ihn eventuell nicht wahrnehmen. El Señor es contigo!

In Santiago gibt es zwei Rituale: Wir klettern hinter dem Altar die Treppe hinauf und umarmen den Santiago. Was wir umarmen, ist das, was wir lieben und nach dem Camino in unserem Leben behalten oder verstärken wollen. Und wir klettern in die Gruft hinunter und legen zu Santiago in die Silberlade, was wir begraben, loslassen wollen. Es muss uns nicht bewusst sein, es IST trotzdem so und das Leben ist danach, deswegen leichter, einfacher, klarer.

Auch darum ist Pilgern anders.

Gabriele