Donnerstag, 8. April 2010

Warum ist alles so anders beim Pilgern?

Eine interessante Frage in einem Pilgerforum. Warum ist alles so anders beim Pilgern?
Hier eine Antwort, die mich sehr bewegt hat. Sie trifft ziemlich genau meine Beweggründe. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Gabriele.

Warum alles so anders ist beim Pilgern?

Ich denke, weil wir die Kontrolle abgeben, keine Sicherheit haben, nicht planen können und trotzdem immer wieder alles bekommen und so in das Leben vertrauen lernen. Weil Prioritäten klarer werden.

Weil Gottes Gnade hier so direkt spürbar ist, ausgedrückt durch Engel mit verschiedensten Aufgaben: uns was zu sagen, uns was zu zeigen, uns zu helfen, sich helfen zu lassen, uns zu begleiten oder uns Raum zu geben. Weil wir willkommen sind. Weil wir hier mal ohne Frage "zu den Guten" gehören. Weil uns manchmal Menschen spontan auf der Straße umarmen, weil wir pilgern.

Weil wir nicht nur in Santiago, sondern auch bei uns selbst ankommen können, immer weniger verdrängen können, uns nicht ausweichen können. Weil wir positive Selbstwahrnehmung erleben, da wir jeden Tag was schaffen.

Weil wir unmittelbar im "First life" unterwegs sind und nicht in irgend einem virtuellen "Second life" oder unverbindlichen "Social Network". Erfahrungen sind wirklich, unleugenbar, nicht programmiert, nicht designed, kein Web 2.0, sondern 3D mit voller Sensorik. Natürlichkeit und Natur. Die Dinge und wir selbst sind berührbar, fassbar, real, ich kann nicht auf Reset drücken oder Play again, sondern es geht einfach weiter. Routinefreie Zone.

Weil wir nichts darstellen müssen, uns weder verstellen müssen noch können. Wer schwitzt, der schwitzt, wer stinkt, der stinkt halt. Wir dürfen auch mal scheiße aussehen und keinen scherts, rot im Gesicht, abgebrochene Nägel, ungeschminkt. dreckig und fleckig, wen kümmerts? Kein Beauty-Wettbewerb, keine Miss Camino, keine Style-Polizei, kein Bling-Bling, kein "mein Haus, mein Auto, meine Yacht". Liberté, Égalité, fraternité. Gemeinschaft mit Menschen, Vertrauen, Zugehörigkeit. Weil wir hier jeden so lassen können wie er ist. Wir können mit ihm zusammen laufen, müssen aber nicht. Und keiner ist sauer oder enttäuscht oder sonst was...

Weil der Himmel über uns so nah ist, weil Gottes schöne Welt ständig für uns sichtbar ist Weil wir im gleichen Tempo wie unsere Seele reisen, wir entschleunigen uns. Weil Jesus, der Ur-Pilger, an der Seite eines jeden von uns läuft, jeden einzelnen Kilometer, auch wenn wir ihn eventuell nicht wahrnehmen. El Señor es contigo!

In Santiago gibt es zwei Rituale: Wir klettern hinter dem Altar die Treppe hinauf und umarmen den Santiago. Was wir umarmen, ist das, was wir lieben und nach dem Camino in unserem Leben behalten oder verstärken wollen. Und wir klettern in die Gruft hinunter und legen zu Santiago in die Silberlade, was wir begraben, loslassen wollen. Es muss uns nicht bewusst sein, es IST trotzdem so und das Leben ist danach, deswegen leichter, einfacher, klarer.

Auch darum ist Pilgern anders.

Gabriele

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