Dienstag, 4. Mai 2010

Mansilla de las Mulas

Hola zusammen,

viele Gruesse von der Windbraut. Es ist nach wie vor stuermisch und ich bin heute die gesamte Strecke dick eingepackt gegangen. Viele Pilger, die aufgrund der Hitze in den letzten Tagen schon einige Teile weggegeben hatten, haben das heute bitter bereut. Man hat halt alles angezogen, was man so im Rucksack hatte ;-). Ich brauchte das Gott sei Dank nicht, denn ich habe ja meine dicke Doppeljacke. Als es so warm war, habe ich mich oft darueber geaergert, dass ich diese 1,2 kg, die diese Jacke wiegt, mit mir rumschleppe. Heute waren sie Gold wert.

Der gestrige Abend war noch sehr schoen. Die Herberge war zwar total beengt, aber das Publikum witzig. Als ich mich nachmittags zur Siesta in mein Bett gelegt habe, habe ich erstmal die Gruesse studiert, die auf den Latten des Lattenrostes ueber mir standen. Der aelteste Gruss war von 1989 oder 99, ich weiss nicht mehr so genau. Als dann ein fuelliger Italiener das Bett ueber mir bezog, habe ich heute nacht mehrmals Stossgebete in den Himmel geschickt, dass eben diese Latten doch seit 1999 nur duenne Leute getragen haben moegen ;-). Eben dieser Italiener setzte dann auch noch zum Schnarchkonzert an. Ich hatte abends extra meine Ohrstoepsel unter dem Kissen verstaut, aber irgendwie waren die verrutscht, so dass ich heute nacht tastenderweise 1/2 Std meine Ohrstoepsel gesucht habe. Danach war dann endlich Ruhe und die liebe Silvia konnte schlafen ;-), bis die ersten Italiener heute morgen um kurz vor 6 aufstanden und ein Zimmergenosse sich bei allen mit einem Kuesschen und Gruss verabschiedete ;-).

Gestern abend waren wir noch alle zusammen am Froschteich und haben uns den Sonnenuntergang angeguckt. Hat mich irgendwie an das Café del Mar auf Ibiza erinnert, nur dass es alles andere als stylisch war. Es war aber dennoch genauso schoen. Die Sonne ist halt ueberall die gleiche Sonne. Da es sehr windig war, haben wir uns alle an eine Hauswand gepresst und aneinandergekuschelt. Zurueck in der Herberge hat die Hospitalera ein schoenes Ritual mit uns gemacht.
Wir bekamen einen Korb mit Wolle und jeder durfte seinem Nachbar ein "Freundschaftsbaendchen" umbinden und Segenswuensche fuer den Weg nach Santiago sagen. Danach hat sie das Licht ausgemacht, wir haben uns alle bei den Haenden gefasst und haben bei Kerzenschein ein spanisches Lied ueber den Pilgerweg gehoert.

Danach ist ein Spanier (oder Suedamerikaner) aufgestanden und hat bewegende Worte gesagt, die ich leider nicht ganz verstanden habe. Es ging darum, dass wir seine Familie seien und aehnliches. Er war so bewegt, dass er dabei geweint hat.
Was ich auch sehr anruehrend fand, war der behinderte Vater der Hospitalera. Er sass im Rollstuhl und war teilweise spastisch gelaehmt und konnte sehr schwer sprechen.
Dennoch hat er dieses Ritual mitgemacht und so schwer es ihm fiel in einer sehr bewegenden Weise die Segensworte gesprochen.

Etwas witziges ist mir auch noch in der Herberge passiert. Als ich jemanden auf englisch ansprach, wo der naechste Supermarkt ist, antwortete er mir auf deutsch. Wir kamen ins Gespraech und siehe da, er war in Muenster in der Feuerwehrschule, die bei uns um die Ecke ist und kennt die Kneipe von Erich Haelker.

Heute morgen sind wir erstmal gemuetlich fruehstuecken gegangen und dann habe ich mich wieder von Sandoshi getrennt (mittlerweile ist sie auch hier eingetrudelt). Ich bin die ersten Stunden hinter einer dicken Unwetterwolke hergelaufen und richtig durchgeschuettelt worden.

Ich fand es war das richtige Wetter und die richtige Strecke, um mal wieder ein paar Gebete zu sprechen. Ich hatte ja von Hans Gerd die Idee bekommen, Gebetsanliegen, die mir per Brief oder Mail geschickt worden waren, mit auf den Camino zu nehmen. Ich denke, ich habe schonmal darueber berichtet. Als ich also dann so versunken gebetet habe, war ploetzlich vor mir ein Regenbogen. Das war wunderschoen. Wer die Bedeutung des Regenbogens wissen will, der lese nochmal die Geschichte der Arche Noah nach ;-)). Ich fand es klasse. Diese Gebete sind bestimmt erhoert worden.
Die Strasse nahm und nahm kein Ende, also hatte ich nochmal Zeit die Apostelgeschichte weiterzuhoeren. Als das auch genug war, habe ich das erste Mal auf dem Camino fetzige Popmusik angemacht und bin flotten Schrittes in den naechsten Ort eingelaufen.

Hier war eine total urige Bar. Die ganzen Waende innen und aussen waren mit Spruechen von Pilgern bemalt und der Wirt war irre sympathisch und witzig. Fuer 1 Euro hat man einen frisch gemahlenen perfekten Kaffee bekommen. Da habe ich erstmal eine ausgiebige Pause gemacht und mich dann fuer den Rest des Weges zu ruesten.

Es kamen immer mehr vermummte Pilger an. Einige hatten sich sogar ihre Pullover ins Gesicht gebunden, nur um Schutz vor dem Wind und dem rumfliegenden Staub zu haben.

Auf der letzten Strecke heute ist etwas eigenartiges passiert. Ploetzlich kamen viele Gedanken ueber Dinge hoch, die ich schon laengst abgeschlossen waehnte.
Es war das erste Mal, dass ich psychisch "angegriffen" war. Aber ich denke, das gehoert dazu und ist gut so. Mal sehen, was noch so kommt. Ich habe mich nachdem ich geduscht hatte, erstmal ausgiebig hier ins Bett gelegt und noch gegruebelt. Das ging noch, da noch nicht viele Pilger in der Herberge waren. Allerdings wird es jetzt zu wuselig.

Man hoert von vielen Pilgern, dass sie hier Sachen traeumen, die sie schon laengst vergessen hatten oder dass vieles, was verdraengt war, wieder hochkommt.

Was mich da wohl noch erwartet...

Ich hatte ja urspruenglich gedacht, das Schreiben des Blogs haelt mich genau von dieser Denkarbeit ab, aber dem ist nicht so. Wenn man Stunde um Stunde in der Natur geht, dann findet dieser Prozess statt. Vielleicht noch nachts oder abends, wenn man im Bett liegt. Aber sobald man in der Herberge mit den Menschen zusammen ist und rumgewuselt wird, ist die meditative Stimmung sowieso nicht so gegeben. Da ist mehr Gemeinschaft angesagt (so man denn will) und dann ist auch Zeit fuer den Blog ;-).

Ich bekomme so nette Mails von euch und es freut mich total, dass ich euch mit diesem Blog ein Stueckchen mitnehmen kann.

Ultreia
Silvia

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